Die Attacken gegen das Abkommen der EU mit den USA (TITTP) richten sich nicht nur gegen die Einführung von Chlorhühnchen. Es handelt sich nämlich nicht, wie die Politik sagt, nur um ein Zollabkommen, das den Men¬schen durch einen leichteren Handel Glück und Wohlstand bringen wird – sondern es ist auch ein Clash der Buch- und Lesekultur.

Wie die beiden kroatischen Wissenschaftlerinnen Horvat und Zivkovic in ihrer Veröffentli-chung „Zwischen Öffentlich und Privat“ heraus stellen, ist das Buch für Europäer zugleich Kulturgut und Wirtschaftsfaktor, für die US- Amerikaner jedoch, ausschließlich ein Wirtschaftsfaktor. Eine Förde¬rung des Buches, der Kultur und Wissenschaft, ist für die USA einzig Sache der Bibliotheken. Dies ist in Deutschland und Frankreich nicht in diesem Maße der Fall. Beide Länder beein¬flussen die Buchpolitik. Frankreich eher durch ministerielle Einrichtungen wie z.B. die „direction de livre“ und Deutschland durch bestimmte Maßnahmen, wie zum Beispiel die Buchpreisbindung, den ermäßigten Steuersatz, durch die VG Wort, ermäßigte Postgebühren und letztendlich auch durch das Büchergeld für Professoren.

Nach der Öffnung der kommunistischen Mauer traf man auf ein fest gefügtes System des Bu-ches, das keinen wirtschaftlichen Überlegungen ausgesetzt war. Bücher dienten der Bildung und Erziehung. Auch wenn der Kulturminister der ehemaligen DDR einer japani¬schen Studentin gegenüber geltend machte, dass es in der DDR keine Zensur gab, stimmte das nur nach dem Wortlaut des Gesetzes, aber nicht in der Praxis. Die Herausgabe der Bücher war streng reguliert und die mitunter hohe Zahl der Pflichtexemplare - allein in der damaligen CSSR waren es 17 - diente auch zur Alimentierung der Bibliotheken. Bücher waren billig, da-her musste die DDR im Austausch der Pflichtexemplare mit der Bundesrepublik immer mehr Bücher liefern und es kamen sehr gute und exzellente Titel in die Bundesrepublik, wie zum Beispiel die Reihe „Geschichte der Musik in Bildern“, die leider nach der Wiedervereinigung nicht fortgeführt wurde.

Da so die Bibliotheken quasi aus dem Bestand der vorhandenen und gelieferten Bücher und nicht nach Auswahl und Bedürfnissen ihrer Leser ihren Bestand aufbauten, fehlte sehr oft eine Bestandsentwicklung, wie sie in den Bibliotheken Westdeutschlands zu sorg¬fältig ausgebauten Beständen führte. Es war deshalb folgerichtig, mutete aber dem Besucher sehr merkwürdig an, wenn einige Bibliotheken in Kasachstan und Kirgi¬sien Bücher von einem Lieferanten nach Gewicht kauften. Diese Systeme sind mit dem Zusammenbruch des kommunistischen Systems in vielen Ländern obsolet geworden und führten zu einer Verelendung der Bibliotheken. Das war besonders in Ländern gravierend, die nun einen wirtschaftlichen, politischen und sozialen Umbruch ohne geistige Unterstüt¬zung bewältigen mussten. Die problematischen Folgen dieser Situation wurden von Georg Soros und seiner Open Society gesehen, der zeitweise vollständig die Neuordnung und Alimentie¬rung der Bibliotheken nicht nur in ausgewählten Regionen der ehemaligen Sowjetunion sondern z.B. auch in Kirgisien übernommen hatte.

Daher spielte der Zugang zu den Informationen eine täglich größer werdende Rolle. Wer Zeu-ge des Kampfes um Devisen zum Erwerb ausländischer Literatur war und erlebte, mit welchen Tricks westliche Bibliotheken ihre armen Kollegen an einem Aus¬tausch teilhaben ließen, aber besonders auf welche Barrieren der Leihverkehr stieß und stoßen musste, konnte damals schon ahnen, wie sehr dieser Zugang sich als Motiv und Ziel aller Politik um Buch und Information auswirken würde.

Kopieren und Möglichkeiten dazu waren das große Thema, das diesen Zugang begleitete. Wenn schon die Bücher nicht gekauft werden konnten, so wollte man doch an dem großen Netz¬werk des Wissensaustausches durch Kopien teilnehmen. 
Aber der Kampf um Zugang durch Kopieren ließ schon ahnen, auf welches Feld sich die Pro-bleme verlagern würden, nämlich auf das des intellektuellen Eigentums. Nach Kämpfen um den Zu¬gang, der auf allen Ebenen stattfand, auch in den Bibliotheken, wenn Bestände weggeschlos¬sen wurden und nur wenigen zugänglich waren. Dabei wurde die politische und kulturelle Wertung der kommunistischen Systeme jetzt durch die ökonomische verdrängt. Konnte der Bestand aufgebaut werden, konnten Menschen sich die Bücher kaufen, die sie brauchten und war den Wissenschaftlern der Zugang zu den Datenbanken möglich, der ihnen die neuesten Ergebnisse übermitteln würde?

Dann kam das e-book. Schon in den 80er Jahren in den USA vorgestellt, hat es im Laufe der Jahre den Informationssektor in den USA stark verändert. Aber alle Vergleiche mit Deutsch-land, dem eine gewisse Schwerfälligkeit bezüglich des e-books vorgeworfen wird, verlieren die Differenz des europäischen und amerikanischen Buchmarktes aus dem Blick. Das e-book trifft in Deutschland auf ein altgedientes System der Literaturversorgung; mit einem dezentralen System von natio¬nalen Bibliotheken, das jetzt auseinander zu fallen droht, mit wissenschaftlichen Bibliotheken mit einem guten Bestand und einem öffentlichen Bibliothekswesen, das es im dezentralen Deutschland leider oft nur regional zu einer Blüte brachte. Deutschlands Buchland¬schaft der Verleger und Buchhändler war gut bestückt und sichtbar. Das Verschwinden des Buchhandels wird den Kommunen noch Probleme bereiten, wenn sich die Menschen zwischen C&A und den anderen immer gleichen Geschäften zu Tode langweilen. Der tapfere Kampf der Buchhandlungen gegen Amazon und sein Monopol mit dem Kindle-Lesegerät unter dem Motto „buy local“, wird ihnen wahrscheinlich nicht viel nützen, es sei denn, sie werden wirklich als Kulturgut angesehen und mit guten Lagen, Veranstaltungen und anderen events gefördert.

Die Traumzahlen des e-books und das billige Angebot (auf Subskriptionsbasis 6000 - 8000 Bücher auf einem Lesegerät), lassen vergessen, dass es sich sehr oft um „Lesefutter“ handelt, vergleichbar den Lore Romanen der 50er Jahre, die der lesehungrige Jugendliche Willi Bredemeier verschlang, weil es keinen anderen Lesestoff gab wie es Bredemeier heute in seinem „Anti-Heimat Roman“ beschreibt. Nun ist es jedem Verleger überlassen, seine Titel als PDF anzubieten, aber diese sind 1. nicht auf allen Lesegeräten lesbar und 2. für die Öffentlichkeit nicht sichtbar. 
Also be¬durfte es eines neuen Berufszweigs und ein Dienstleister trat auf den Plan, der die Bücher nicht nur fachgerecht in e-books umwandelt, wie es „Zeilenwert“ in einem kenntnisreichen Workshop für Ver¬triebsleiter im Rahmen des Börsenvereins Hannover darstellte. Sondern es geht auch um die Sichtbar¬keit des e-books. Die neuen Dienstleister sorgen dafür, dass das e-book auf den jewei¬ligen Plattformen vertreten ist.

Der Markt ist im Umbruch und einem ständigen Wandel unterworfen. E-book ist eben nicht gleich e-book, schon das Format epub oder pdf muss dem Inhalt an¬gepasst werden. Der Kampf des Börsenvereins und der Verleger dreht sich derzeit in ers¬ter Linie um den Preis des e-books und die Frage „minus 1/3 – ½ oder 2/3 des Preises“. Dass für die meisten Menschen der Preis eines Buches in erster Linie durch den Druck bestimmt wird, entspricht nicht den Tatsachen. Auch weil zurzeit ein mörderischer Kampf unter den Druckern herrscht, auch noch angefacht durch massive Förderung der EU beim Erwerb von modernen Maschinen für die Drucker in den mittel- und osteuropäischen Ländern. Gerade ein e-book, das als erstes oder zweites Exemplar angereichert durch Informationen, Tabellen etc. hergestellt wird, kostet dem Verleger mehr als nur der Druck. Der Verleger muss also ent¬scheiden, will er ein Buch als e-book anbieten und mit welchen Mehrwert? Aber es ist natürlich zwingend notwendig, dass der Preis unter dem des gedruckten Buches liegen muss. Aber ob die Preisbindung für e-books eingehalten werden kann, wie jetzt auch gefordert wird, ist fraglich, besonders weil das e-book in den Augen der Verwaltungsjuristen immer noch kein Buch, sondern eine Datenbank ist, was den Bibliotheken schwer zu schaffen macht, weil es den Verleih erschwert, wenn nicht gar unmöglich macht.

Wir haben oben über den Lesestoff gesprochen und meinen, dass in Zukunft „a good read“ wie es im Englischen genannt wird, per e-book und Lesegerät ausgeführt wird. Aber was ist mit dem Fachbuch? Wie in jenem Workshop gesagt wurde, werden Fachbücher weiterhin noch im Druck erscheinen, es sei denn, man bietet Mehrwert an, für das sich die elektroni¬sche Form eignet. Aber was ist mit dem seltenen Buch, dem Fachbuch, das ein Verlag für mindestens 9 Jah¬re in den Geisteswissenschaften vorhält? Die Hahnsche Buchhandlung aus Hannover, deren Verlag jetzt in Peine beheimatet ist, hat uns erzählt, dass selbiger als ein historischer Fachverlag noch Publikationen in seinem Bestand hat, die vor nunmehr 100 Jahren erschienen sind. Die Veröf¬fentlichung der Fachbücher geschieht meist in kleinen Auflagen und ist daher teuer. Nicht umsonst hat die DFG diese Veröffentlichungen nicht nur der Bücher sondern auch der Zeit¬schriften massiv unterstützt, da es sonst nicht möglich gewesen wäre, diese auf den Markt zu bringen und die doch den Ruf des Landes als Wissenschaftsstandort begründen und ausma¬chen. Elektronische Fachbücher werden auch auf den Plattformen und wahrscheinlich auch auf den Repositorien nur für eine begrenzte Zeit sichtbar sein. Bücher zu einem speziellen Thema zu finden, sei heute sehr schwierig, berichtete uns der Universalgelehrte Harmut Wal¬ravens als wir die Herausgabe seiner nächsten Spezialbibliographie besprachen. Google weist alles nach, wahrscheinlich auch diese Bücher, aber werden wir sie finden?

Wenn auf der einen Seite Wissen und der Zugang zu Informationen mehr denn je die positive ökonomische und kulturelle Entwicklung eines Landes bestimmen wird, kann das e-book sehr hilfreich und nützlich sein, gerade auch für den Zugang aller zu den Informationen. Aber der Zugang wird in einem Meer der Informationen nicht leichter, wobei besonders der Zugang zur speziellen Fachliteratur für die Entwicklung von Professionalität unabdingbar ist und dies gilt nicht nur für die Medizin. Der digitale Buch- und Informationsmarkt verlangt nach Steue¬rung und Regeln, mit einer bloßen Überlassung des Marktes an einige Konzerne und Mono¬polisten überlassen wir Kreativität und Professionalität dem reinen Markt, der ja gerade Krea¬tivität sehr selten vergütet, weil er sie nicht anerkennt. Das kann eigentlich nicht unser Wille sein. Ähnlichkeiten mit dem Kauf von Büchern per Gewicht drängen sich auf - führen aber in die Irre, wie wir wissen.