Musiktransfer nannte sich die diesjährige Tagung des Nationalkomitees des ICTM (International Council for Traditional Music) am 12. und 13. Februar 2010 im tief verschneiten Halle, das wirkungsvoll mit den Video und Musikaufnahmen aus tropischen Ländern kontrastierte.

Nach dem Sturz der kommunistischen Mauer des sowjetischen Großreiches- und gleichsam als Zeichen dafür, dass der Nationalismus nicht tot ist, sondern sich eine friedliche neue Basis in Touristenwerbung und Gastfreundschaft sucht, rücken Länder in das Bewusstsein, die man vorher kaum kannte oder von denen man nur vage gehört hatte.

Ob Oliver Gerlach orthodoxe Kirchenmusik auf den Einfluss der levantinischen Traditionsgemeinschaft hin untersuchte und dabei die gegenseitige kulturelle besonders musikalische Befruchtung der Mittelmeerregion aufzeigt, auch und gerade bei Staaten, die zur Zeit als verfeindet gelten, oder Uwe Pätzold den Einfluss und die Entwicklung von Bewegungskünsten auf die Entwicklung des Tanzes erforscht, immer ist die Ethnomusikologie ganze dicht am Menschen und bringt diese Regionen näher als viele Berichte aus Magazinen, Zeitungen und dem Fernsehen das vermögen. Ob Tanzgruppen oder Instrumente, die zu verloren gehen drohen, immer kommt es zu einer Begegnung mit einer Kultur und dem fremden Gegenüber, die gleichzeitig fasziniert und an Gemeinsamkeiten der humanitas anknüpft.

Beeindruckend die Vorstellung des Ritus Gjama, des male scream for grief and self sacrifice in the death ceremony of Albania. Alle Vertreter der älteren Generation wissen noch, ein welch abgeschlossenes Land Albanien vor dem Fall der Mauer war (mittlerweile ein Auswandererland, das eine eigene Musik für Auswanderer und ihre Daheim gebliebenen entwickelt hat). Es war fast unmöglich, Eintritt in dieses Land zu erlangen, geschweige Vertreter des Landes und der Kulturszene nach Deutschland einzuladen, wenn sie nicht zur herrschenden Klasse gehörten. Der hier vorgestellte archaische Ritus war atemberaubend und man sah die Antike vor sich, mit dem sich vor Kummer heulend auf dem Boden wälzenden Odysseus. Abgründe des Menschen, die Wildheit seiner Trauer, die oft in unseren Sphären verdrängt werden, wurden hier sicht- und erfahrbar.

Die deutsche Ethnomusikologie hat gegenwärtig zwei Gesichter, sie geht weiter ihrem Forschungsauftrag nach verlorene Kulturen nach, besonders auch Musikinstrumente zu erfassen und zu sichern. Dazu gehört z.B. das DFG Projekt, das die musikalische Hoftradition des letzten Meisters Ari Babakhanov erfasst, von der man heute noch nicht weiß, wird sie durch die Nachfolgenden wieder belebt, oder wird sie nur ein Stück Archiv im kulturellen Erbe der Menschheit. Viele Länder suchen zunehmend ihre musikalischen Traditionen zu sichern und Fachleute auszubilden, die dazu in der Lage sind. Viele von ihnen studieren in Deutschland. Mit ihnen zu kommunizieren und Verbindungen aufzubauen, kann mehr zur Friedfertigkeit und gemeinsamen Lernen beitragen, als man erst vermutet. Musik verzaubert diese Kommunikation, so dass wir durch Hören mit allen unseren Sinnen lernen.

Elisabeth Simon, HonFCILIP 
Februar 2010