Der Berliner Arbeitskreis  für Information (BAK)

lädt ein >

- am 13. Juli    um 17.30

-  im Hörsaal 14 der Universitätsbibliothek der

   TU Fasanenstr. 88 , 10623 Berlin (R/S/U Zoologischer Garten )

zu einer Vorstellung des Buches von Helga Schwarz mit anschließender Diskussion und weiteren Gesprächen bei einem Snack und Getränken.

Die Veranstaltung ist kostenlos um Anmeldung wird gebeten unter 030-75518366 oder per mail Diese E-Mail-Adresse ist vor Spambots geschützt! Zur Anzeige muss JavaScript eingeschaltet sein!

Frau Schwarz und ihre Dissertation wird auch im Jahresrückblick der ARD: : Menschen, Bilder , Emotionen bei G. Jauch am 3. Dezember vorgestellt.

Karsten Schuldt rezensiert

Helga Schwarz

Zum Untergang 

des Deutschen Bibliotheksinstituts:

Eine sehr gute Basis 

für den Beginn einer Debatte

Von Willi Bredemeier

Von der einst blühenden Landschaft aus „Arbeitskreisen für Information“ ist wenig mehr als der BAK übriggeblieben. Was ist aus Stuttgart, Frankfurt, München, Hamburg, Köln, Bielefeld, der Eifel und dem Ruhrgebiet sowie den später hinzugekommenen AKIs aus den Neuen Bundesländern, beispielsweise Magdeburg, geworden? Der Berliner Arbeitskreis für Information scheint indes bis auf den heutigen Tag zu gedeihen, gemessen an der reichhaltigen Zahl an Veranstaltungen, an den immer wieder klug gewählten Veranstaltungsthemen, teilweise an der Zahl der Teilnehmer sowie am Monitoring relevanter Veranstaltungen in Berlin und seinem Umfeld. Ansatzweise wird sogar eine Öffentlichkeitsarbeit betrieben. Auch Open Password und seine Leser haben immer wieder von der Existenz des BAK und der Zusammenarbeit mit seiner rührigen Vorstandsvorsitzenden und weiteren Mitgliedern des BAK profitiert. 

Nun ließe sich einwenden, in der Hauptstadt Berlin lägen die Themen auf der Straße und man könne dort aus dem Vollen schöpfen. Aber wie die seinerzeitigen AKIs insbesondere in Stuttgart und Frankfurt gezeigt haben, ginge Ähnliches in anderen Städten auch.

Fragen, die erstmals differenziert diskutiert werden können und tatsächlich auch werden. Dank BAK.


Mit der Lesung und Diskussion zu dem Buch von 

Helga Schwarz, Das Deutsche Bibliotheksinstitut: Im Spannungsfeld zwischen Auftrag und politischem Interesse“, Simon-Verlag für Bibliothekswissen, Berlin 2017, 

am Donnerstag dieser Woche greift der Berliner Arbeitskreis für Information abermals ein wichtiges Thema auf. Dieses kann mit dem Erscheinen des Buches von Frau Schwarz erstmalig differenziert diskutiert werden. Das sollten wir auch, zumal der Niedergang und Untergang des Deutschen Bibliotheksinstituts seinerzeit die gesamte Bibliotheks- und Informationsbranche bewegte und sich mit seinem Untergang die Frage stellt, inwieweit sich Einrichtungen mit anspruchsvollen branchenbezogenen und koordinativen Aufgaben im öffentlichen Raum überhaupt organisieren lassen. Da trifft es sich gut, dass Karsten Schuldt, seinerseits als bibliothekswissenschaftlicher Autor ausgewiesen, soeben eine Rezension veröffentlicht hat: 

Karsten Schuldt, Eine kurze Geschichte zu einem bibliothekarischen Phantomschmerz, in: Libreas - https://libreas.wordpress.com/2017/07/03/eine-kurze-geschichte-zu-einem-bibliothekarischen-phantomschmerz.


„Eine Forschungslücke geschlossen, die das Bibliothekswesen längst hätte schließen müssen.“

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Leider erschloss sich mir der Wert dieser Rezension erst beim zweiten Durchlesen, weil die durchschnittliche Tonlage der Rezension ziemlich mäkelig ist und man den Text beim ersten Überblickslesen für einen Verriss halten könnte. Dabei kommt der Rezensent zu einer Reihe richtiger Einschätzungen und Schlussfolgerungen und zumindest indirekt auch zu positiven Würdigungen des Buches: 

1. Die Massenmedien von Bild bis ARD und ZDF fielen über Helga Schwarz her, weil sie mit 81 Jahren promovierte, meistens ohne mit einem Satz auf ihre Arbeit einzugehen. Schuldt spricht von einer „sympathische(n) Human-Interest-Story“ und geht kurz selbst auf die Lebensgeschichte von Frau Schwarz ein („erst Bibliothekarin, dann Programmiererin für Bibliotheken, Firmeninhaberin für Bibliothekssoftware und jetzt Doktorin der Bibliothekswissenschaft“), um sodann seine Bewunderung für ihr „ungebrochenes Interesse am Bibliothekswesen“ zu bekunden. Aber das geschieht in einem kurzen Absatz von sieben Zeilen, während die folgenden sechs Seiten dem Buch gelten. Indem er die Autorin und ihre Arbeit ernst nimmt und damit für kritikwürdig hält, lädt er zu einer Debatte zu Fragen ein, die – siehe oben – geführt werden sollte.

2. Schuldt stellt fest, dass die Übersicht von Frau Schwarz „eine Forschungslücke schließt, die das Bibliothekswesen, wenn es an der eigenen Entwicklung wirklich interessiert wäre, schon längst hätte schließen müssen“. Dem kann man nur zustimmen. 

3. Der Rezensent neigt zu der Auffassung, dass das DBI kaum eine Überlebenschance hatte. Er begründet dies damit, dass das DBI 

„von Anfang an schwach angebunden und mit einem unmöglichen Auftrag versehen war – oder anders: dass das Ende eigentlich schon bei der Gründung angelegt war.“

Ich glaube auch auf der Basis der von Frau Schwarz vorgelegten Materialien, dass das DBI so kompliziert und überdies so konstruiert wurde, dass sich immer wieder die Existenzfrage stellte. Darüber hinaus agierte es in einer vorwiegend skeptischen wenn nicht feindlichen Umwelt und hatte immer mehr Skeptiker wenn nicht Feinde als geborene Kooperationspartner und Unterstützer. Damit waren die langfristigen Überlebenschancen des Instituts nicht gut.

4. Schuldt verweist unter Bezugnahme auf die „Abwicklungseuphorie“ in den 90er Jahren, dass man den Kontext der DBI-Abwicklung hätte darstellen sollen. Unabhängig davon, was man von einer Dissertation erwarten sollte und unabhängig davon, dass Helga Schulz das aus meiner Sicht getan hat, hat der Rezensent hier auf eine wichtige Perspektive verwiesen. Dabei weist er daraufhin, dass das DBI

„Teil der ganzen Abwicklung von Einrichtungen in den fünf neuen Bundesländern und Berlin gewesen (ist), die … Mitte bis Ende der 90er Jahre die Berliner Politik (gemeint ist wohl sowohl die Stadt Berlin als auch die Bundespolitik) bestimmten. … Abgewickelt wurde damals ständig irgendetwas.“

Allerdings kann diese „Abwicklungseuphorie“ nicht hinreichend

„mit der Verstärkung des Föderalismus in Deutschland, … und der Etablierung eines neoliberalen Verständnisses von Wissenschafts- und Kulturförderung“

erklärt werden, da sich diese „Euphorie“ bis in die Gegenwart unabhängig von parteipolitischen Neigungen und vertretenen Philosophien fortgesetzt hat und sich die Bundesländer kaum stärker als der Bund für die Erhaltung von Einrichtungen im Zuge von Evaluierungen eingesetzt haben. Ich würde unter „Kontext“ lieber verstehen, dass mit der Abwicklung der DBI eine Praxis konstituiert wurde, die bis heute dazu führt, dass wissenschaftliche Bibliotheken und Fachinformationseinrichtungen nach Kriterien beurteilt werden, die mit ihrem Kernauftrag nichts zu tun haben. Hier sehe ich ein weiteres Versagen von Branchenöffentlichkeit und Wissenschaft, die sich zwar für das Überleben der ZB MED engagieren mögen, sich aber einer Loslösung von einzelwirtschaftlichen Betrachtungen verweigern und es stillschweigend dulden, dass die Praxis einer systematischen Verwechslung von Informationseinrichtungen und Forschungsinstituten mit existenziellen Folgen für die betroffenen Einrichtungen fortgesetzt wird. 


Man kann jede Publikation in den Boden stampfen. Man muss nur sehr hohe wenn nicht unmögliche Anforderungen stellen.


Damit sind wir bei der Kritik an Schuldts kritischen Äußerungen angekommen. Wir beschränken uns auch hier auf vier Punkte.

1. Beginnen wir mit Schuldts Hauptkritik: 

„Leider hat die Autorin … die Tendenz, … eigene Meinungen zu vertreten. … Sie hat eine Meinung zum dbi und versucht diese zu untermauern. Für eine Promotion oder eine objektive Geschichte ist das nicht angebracht und auch tatsächlich der größte Kritikpunkt, der in dieser Rezension anzubringen ist. Es ist und bleibt eine subjektive Darstellung.“

Hier macht sich Schuldt übertriebene Vorstellungen davon, was in den Geisteswissenschaften an Objektivität möglich ist. Die Aufgabe der Wissenschaften besteht darin, zu neuen Erkenntnissen zu kommen und das geht zumindest in diesen Disziplinen nur über eigene Meinungen und Schlussfolgerungen. „Mut zur Thesenbildung“ verlangen Kant und Popper, und wir sollten nicht ohne Not hinter ihren Empfehlungen zurückbleiben. Was man von einer wissenschaftlichen Arbeit allerdings erwarten kann, ist, dass man klar erkennen kann, wo das Referieren von Fakten aufhört und die eigene Meinung beginnt. Diese Anforderung hat Frau Schwarz erfüllt. Die Unterstellung, die Autorin habe ihre Informationen so arrangiert, dass diese ihre vorgefasste Meinung bestätigen, ist unfair, allerdings angesichts der von Frau Schwarz ausgebreiteten Fülle an Materialien, die durchaus auch andere Schlussfolgerungen ermöglichen, leicht zu widerlegen. 

2. Schuldt räumt ein, dass die von Helga Schwarz gewählte institutionelle Sichtweise „grundsätzlich … berechtigt“ ist. 

„Es hätte aber dargestellt werden müssen, dass dies der Fokus (ist); die Kritik ist hier hauptsächlich, dass genau dies unterblieb und mit dem Buch der Eindruck vermittelt (wird), als würde eine Gesamtgeschichte des dbi versucht.“

Tja, so intelligent sind die Leser schon, dass sie erkennen, dass Helga Schwarz eine institutionelle Betrachtungsweise gewählt hat, ohne ausdrücklich und ausführlich darauf hingewiesen zu werden. Auch dürften die meisten über eine wissenschaftstheoretische Grundausbildung verfügen. Statt eine „objektive Gesamtgeschichte“ des DBI anzustreben, was von vornherein ein unmögliches Unterfangen wäre, halte ich die institutionelle oder strukturelle oder organisationspolitische Betrachtungsweise in Sachen DBI für den vielversprechendsten Ansatz, nicht nur um zu erkennen, wie die inkompatiblen partikularen Zuständigkeiten und Interessen einer Vielzahl von Einrichtungen im Falle des DBI aufeinanderstießen, sondern auch um zu Lösungen zu kommen, wie Organisationen zu konzipieren sind, auf dass sie ihre Aufgaben erfüllen können und zugleich eine realistische Überlebenschance haben. Hier vermute ich, dass Schuldt das Buch von Schwarz positiver zu würdigen gewusst hätte, wenn er sich mehr mit Organisationstheorien befasst hätte. Dann hätte er auch das Fehlen der Nennung klarer Zielsetzungen bei diversen Einrichtungen durch Frau Schwarz nicht moniert, sondern gewusst, dass die Verwendung diffuser Ausdrücke im „interinstitutionellen Bargaining“ üblich sind und vieles bedeuten können, beispielsweise Inkompetenz, das Fehlen von Zielsetzungen, die Abdeckung einer Bandbreite von Optionen, die Wahrung von Chancen, jederzeit eine alternative Richtung einzuschlagen, und die Durchsetzung eigener Interessen durch Verschleierung. 

3. Schuld moniert

„die Tendenz, die Geschichte als Politikroman zu schreiben“.

An anderer Stelle meint er, diesmal allerdings, um Frau Schwarz gegen Entertainment.-Freaks unter den Lesern bibliothekswissenschaftlicher Literatur zu verteidigen: 

„Die Aufgabe einer Promotion ist es, nicht zu unterhalten, sondern eine wissenschaftlich solide Arbeit vorzulegen.“

Hier haben wir eine mögliche Erklärung dafür, dass Karsten Schuldt ein wenig naserümpfend durch das Buch gegangen ist, weil nämlich Frau Schwarz nicht die richtige wissenschaftliche Form gefunden habe. Was aber, wenn die Geschichte des DBI ein Thriller war? Jeder, der als Insider in Evaluierungsprozessen und Förderprogrammen involviert gewesen ist, weiß, dass dort die unglaublichsten Dinge passieren. Wie sollte der gegenwärtige Zusammenstoß von Regierung, Parlament und Justiz in der Trump-Ära anders als in einem Thriller beschrieben werden? Wir sollten der auch in der Wissenschaft gegebenen Gefahr widerstehen, Aufgaben und Ziele (hier: zu neuen Erkenntnissen zu kommen) durch bestimmte Konventionen und Formen (beispielsweise hier: einen zurückhaltenden Stil zu wahren, oder schlimmer: alles zu tun, um mit der eigenen Publikation nicht anzuecken) zu ersetzen.

4. Meinerseits lautet meine größte Kritik an Schuldt: Man kann jede Publikation in den Boden stampfen. Man muss nur sehr hohe wenn nicht unmögliche Anforderungen stellen. Ja, ich wüsste auch gern, was das dbi

„eigentlich genau getan hat und wozu es – so die Behauptung aus der Bibliotheksszene am Ende des dbi – unverzichtbar gewesen wäre“.

Aber was die teilweise mehr als hundert Mitarbeiter im DBI taten, wusste nicht einmal ihr Direktor, und was der Impact des DBI über die Jahrzehnte war, darüber würden sich ganze Evaluierungskompanien die Zähne ausbeißen. Jedenfalls wäre das spekulative Element bei der Suche nach Antworten ungleich höher, als der Rezensent mutmaßlich tolerieren würde. Und ob wir eine Einrichtung wie das DBI weiter benötigen? Die Beantwortung dieser Frage können wir unmöglich auch noch Helga Schwarz aufhalsen. Vielmehr können Antworten dazu nur Resultate einer Debatte ihrer Community sein. 


Nehmen wir Frau Schwarz auch insoweit ernst, als wir in die längst fällige Debatte um den Untergang des Deutschen Bibliotheksinstituts einsteigen. 


Frau Schwarz hat mit der Auswahl ihres Themas außergewöhnlichen Mut bewiesen und mit ihren großen Materialsammlungen eine Forschungslücke geschlossen sowie Anreize für weitere Forschungsarbeiten gesetzt. Ihre Schlussfolgerungen sind jederzeit nachvollziehbar und eine weitere Erörterung wert. Wir sollten die Arbeit von Frau Schwarz auch insoweit ernst nehmen, als wir in die seit langem fällige Debatte einsteigen, welche Lehren und Konsequenzen aus der Konzeptionierung, der Performance, dem Niedergang und der Abwicklung des Deutschen Bibliotheksinstituts zu ziehen sind.