Die Menschen wollten immer einen Blick in die Zukunft werfen. Schon in der Antike versuchten die alten Griechen aus Eingeweiden von Vögeln die Zukunft zu deuten. Die Pythia dient heute noch als Vorbild für Wahrsagerinnen, deren Geschäfte auch in unserer modernen Zeit nicht gelitten haben. Sehr oft kündigt sich Zukünftiges an, ohne dass man dessen gewahr wird. Vertieft man sich heute in den halboffiziösen Schriftwechsel mancher Institutionen der ehemaligen DDR, so bemerken wir einen Wechsel im Tonfall, eine sich offen äußernde Kritik, die damals von uns als Vorbote einer radikalen Veränderung nicht wahr genommen wurde. In den meisten Fällen ist uns aber ein Blick auf die Zukunft verwehrt, oder wir erkennen sie nicht, weil wir Kinder unserer Zeit sind.

In der Politik sieht es nicht anders aus. Sehr oft wurden Gesetze erlassen, deren Zweck ins Gegenteil verkehrt wurde. Fördermöglichkeiten der EU stehen grundlegenden Erneuerungen im Klimaschutz und einer nachhaltigen Landwirtschaft entgegen. Manche wohlbegründete Kritik an dem Hartz IV System liegt an der Kurzsichtigkeit der damaligen Gesetzgeber, sie haben nicht gesehen und konnten wohl auch nicht sehen, dass bei allem Jubel über einen Arbeitsmarkt, der sich besser darstellt als in den südlichen Ländern dieses Kontinents, Gemeinschaftszerstörende Kräfte auf Dauer sich schädlich auswirken können. Dies könnte besonders für Deutschland negative Folgen zeigen, gerade in einer alten Gesellschaft, wie es zunehmend auch in Deutschland sichtbar wird. Wir greifen hier nur zwei Beispiele heraus.

Das Resümee, das am 26. Juni dieses Jahres über eine Projekt German and Russia in 2030 Scenarios for a bilateral relationship der Friedrich Ebert Stiftung der Öffentlichkeit vorgestellt wurde, war daher in zweierlei Hinsicht besonders interessant. Es setzte entgrenztes Denken in den Mittelpunkt der Überlegungen, eine lange Reise durch das Land der politischen Möglichkeiten. Die Zukunft der deutsch-russischen Beziehungen ist kompliziert, aber beeinflussbar, wenn man sich auf eine lange Reise durch dieses Land der politischen Möglichkeiten begibt. Diese Zukunft mag nun nicht Kooperation oder neue Eiszeit heißen, sondern es gibt viele Möglichkeiten, die hier dem Publikum an den Bildern von vier Schiffen und deren Fahrten symbolisch gezeigt wurden. Wie Walter Steinmeier, der zusammen mit seinem russischen Kollegen dieses Projekt begleitet hat, definierte, die strategische Partnerschaft mit Russland kann sehr verschiedene Gesichter haben. Sie wird heute – da Aussenpolitik zu einer Variante der Innenpolitik geworden ist - von den Medien beherrscht und hat somit das Politische in den Hintergrund gedrängt. Politik lebt nicht nur von Ideen. Sie muss Konzepte entwickeln. Daher kann die Entwicklung von Szenarien zu einem guten Werkzeug des Poltischen werden, was angesichts einer Zukunft, die vielen Menschen unsicher erscheint und auf der einen Seite Angst, auf der anderen Seite Resignation auslöst, nicht nur wünschenswert, sondern notwendig wäre.

Russland und die Beziehungen zu Deutschland waren die zweite Basis dieses hoch interessanten Projekts. Wir wollen hier nicht Bismarck zitieren, einen Politiker, der sich im Vergleich zu anderen der Mittellage Deutschland in seiner ganzen politischen Laufbahn bewusst war. Wir wollen hier auch nicht die mannigfachen Beziehungen aufführen, die Russland und Deutschland über die Jahrhunderte verbunden haben, und jetzt z.B. Ihren Ausdruck in der Veranstaltung der Deutschen Gesellschaft angekommen in der neuen Heimat, Russlanddeutsche in Deutschland ihren Ausdruck finden. Sie sind heute noch zu oft, auch bedingt durch die anhaltende Auswanderung russischer Bürger – auch nach Deutschland - von der Betrachtung des Inputs deutscher Kultur in Russland geprägt als umgekehrt.

Russland und die Beziehungen zu Deutschland sind in den letzten Jahren in den Hintergrund getreten. Dies wurde nicht nur beim Besuch des amerikanischen Präsidenten sichtbar, man nehme nur die überquellende Berichterstattung zu Jahresfeier des Kennedy Besuches 1963 in und auf allen Medien, in der Presse als auch im Fernsehen. Was sollte da beschworen werden? Russland ist immer noch ein verschlossenes Land und nicht nur für die Bürger, die nach Deutschland kommen wollen, sondern auch umgekehrt. Immer ist eine Visabeschaffung zur Einreise nach Russland mit Schwierigkeiten verbunden, dabei könnte das Land zu einem touristischen Höhepunkt werden und damit Begegnungen ermöglichen, die der Bevölkerung nicht nur sozial und finanziell willkommen werden, sondern auch Gespräche und eine zwangsloses Miteinander einleiten. Aber abgesehen von diesen inoffiziellen so wünschenswerten Gelegenheiten, das Potential, das der Ausbau einer solchen Beziehung auch auf kulturellen und wissenschaftlichen Gebiet bringen könnte, wurde nie genutzt. Dabei gibt es gerade im ehemaligen Ost-Berlin Kompetenzen, die man einsetzen könnte. So wäre es wirklich eine Überlegenheit wert, russisches wissenschaftliches Personal in die Abteilungen für Information und Kommunikation der Humboldt Universität einzuladen. Die russischen Universitäten verfügen über hochbegabte und kreative Wissenschaftler und Praktiker auf diesem Gebiet. Der Sputnick Schock, die sich zeigende technologische Überlegenheit der Russen in den sechziger Jahren war nicht nur durch militärische Überlegungen bedingt.

Aber das ist nur ein Gebiet. Die Pflege der Beziehungen zu Russland mag schwierig sein, weil sie noch zu sehr überschattet wird von administrativen und politischen Stolpersteinen. Mit der Einbeziehung der Universität Viadrina in Frankfurt/Oder und der Beteiligung der Universität Tartu aus Estland, einem Land, das noch bis in die neunziger Jahre Russland in herzlicher Abneigung verbunden war, werden Wege aufgezeigt, die auch Deutschland gehen sollte. Mit dem ersten Scenario: Cruise Liner Russia and Germany move on together – at hight speed wurde das positivste Szenario vorgestellt, ein Bild, was beiden Ländern nützen würde. Aber auch die verbleibenden drei Möglichkeiten legen nahe, alle Verbindungen zu beleben und zu entgrenzen und sich auf eine lange Reise der politischen Möglichkeiten zu begeben. Deutschland hat mit diesem Nachbarn Jahrhunderte eng zusammengelebt, es sind nicht nur die kulturellen Strukturen von langer Dauer, die es weiter zu entwickeln geht. Deutschland hat Ost und West - das mag mitunter schwierig sein, keine Garantie für eine gute Entwicklung, aber ein Versprechen, das eingelöst werden kann - damit die Menschen dieses Landes von ehemaligen Faschisten wirklich zu Weltbürgern werden.