Katharsis nannten die griechische Antike die Läuterung von seelischen Konflikten durch die Kunst, durch Theater, Musik und Tanz. Die großen Spiele ihrer bis in die heutigen Tage unsterblichen Dichter genossen nicht nur Förderung und hohes Ansehen, jeder Theaterbesuch jedes Bürger und das waren vorrangig Bauern, wurde finanziell zu dem Ausfall an Arbeitszeit staatlich gefördert.

Keine Unterhaltung, seelische Erschütterung war das Ziel dieser Spiele. Wenn in der Veranstaltung am 5. Juli , Sonntagnachmittag, im Puttensaal im Gespräch mit Musikwissenschaftlern, Komponisten und Musikliebhabern gefragt wurde wie populär darf zeitgenössische Musik sein, wäre diese Frage im antiken Griechenland unverständlich geblieben. Nicht nur in Griechenland, sondern auch in Japan des 14. Jahrhunderts in der tradierten Hofmusik dienten schrille Töne einem alten Ritual und mitnichten dem bloßen Hörvergnügen. Aber wir brauchen nicht so weit zu gehen, auch der sacre du printemps, dessen 100 jähriger Geburtstag aus dem Jahr des Umbruchs 1813 wir in diesem Jahr feiern , rief Erschütterung und einen Skandal hervor, der heute nicht vorstellbar ist. Seine auf einem Frühlingsbrauch im alten Russland basierende Musik wühlte die Menschen auf, er berührte sie. Nein, die auf Gefälligkeit und Populismus angelegte Neue Musik, nach einem zahlreichen Publikum schielend und mit Video und anderen technischen Schnick Schnack die Menschen vom Hören abhaltend tut das nicht. Es wird ihr auch nie gelingen und desto weniger, wenn Neue Musik als Musik ohne Harmonie und Tonalität definiert wird.

Gerhard Scherer stellte die wirklich interessante Auswertung der Clicks auf You tube vor. Dank unserer Hörgewohnheiten nahm Vivaldis Vier Jahrzeiten immer noch die höchste Anzahl ein, aber auch die Neue Musik oder Moderne Musik blieb nicht unbeachtet. Es ist das große Verdienst von Birger Petersen mit seinen Analysen Neuer Musik (ISBN 978-3-94086257-0) auf die großen Künstler Neuer Musik aufmerksam zu machen. Dr. Ernst-Hellmuth Flammer, dessen Komposition Nach vorn auch hier vorstellt wurde, erzählte aus seiner großen Erfahrung über die großen Hürden der Festivals und Gremienbeschlüsse, nicht nur moderne Musik zu verhindern und zwar nicht nur durch die Art der Förderung, die dem Populismus und der Gefälligkeit folgt, sondern auch schlicht aus Angst vor dem Neuen, aus Angst vor der Katharsis ? Man lese nur über die Erfahrungen von Hans- Joachim Hepos Höre hespos ISBN 978-3-940862-23-5 mit dem Festspiel in Donaueschingen, bei dem nach der Uraufführung eines seiner Stücke keiner ein Wort mit ihm sprechen wollte.

Das anschließende Konzert in der Reihe Nachgefragt bestätigte die lebhafte Diskussion. Matthias Lorenz und Stefan Eder spielten Stücke von A.- O. Simon, Flammer und Bernd Alois Zimmermann in einer Eindringlickeit und Kunst, die alle tief bewegte. Ohne Eitelkeit, mit Präzision und großem Einfühlungsvermögen – hier wurde nicht unterhalten, hier wurde nicht populistisch nach Erfolg geschielt, hier bedurfte es keiner begleitenden Videoclips außer dem intensiven Zuhören. Wahrscheinlich wusste keiner der Zuhörer, dass Bernd Alois Zimmermann mit 52 Jahren freiwillig aus dem Leben geschieden ist, aber es war zu hören in diesem tieftraurigen, zu Herzen gehenden Stück. Eine Katharsis! leidenschaftliche Musik, die seelische Spannungen löst und Mitempfinden weckt. Was will Kunst mehr erreichen!

Gerade Strawinsky, nicht nur im Sacre du Printemps, sondern auch im Feuervogel, auch Bartok haben immer wieder Motive und Melodien aus der sogenannten Volksmusik verarbeitet oder als Basis ihre Kompositionen genutzt. Die anwesende Komponistin Irina Emeliantseva tut dies in ihren russischen Fugetten (IDBN 978-3-940862-40-1) Deshalb sind die Neue Musik in der Bibliothek am Luisenbad, die türkischen Bewohner und das afrikanische Viertel in der Umgebung dieser Bibliothek kein Gegensatz sondern hier ist eine musikalische Symbiose zu erwarten. Dies wäre, wenn man denn fördern will, was Musik bewirken kann, zu fördern. Es wird eine neue musikalische Sprache gefunden werden, eine Sprache, die mehr bewirkt, als alle Beschlüsse über kommunalen Zusammenhalt und neue Empathie zusammen, - die Neue Musik im Puttensaal ist eine Stufe dorthin.