Raummusik wurde das Konzert am 15.10.2012 in der Humboldt Bibliothek in Tegel genannt. Der Eindruck einer Renaissance Halle mit Toren und Fenstern dieser außergewöhnlichen Bibliothek stand in einem spannenden Gegensatz zu den Wegen der künstlerischen Empfindungen der Komponisten und Interpreten, Linien Quer und Geradeaus. Gradlinig war dieses Konzert nicht. Die Flötentücke von Marco Reghezza Thoughts (2010) und die von Tiago Schwäbl, eines Komponisten aus Portugal, beide Komponisten Zeitgenossen aber was für ein Unterschied! Man hätte sich nicht gewundert, wenn es Jahrhunderte gewesen wären. Man weiß nicht, ob den Komponisten Tiago Schwäbl unbewusst das französische Erbe des Bodens und Raumes, der frühere französische Sektor beeinflusst haben: Les graines invisibles beruhten auf Texten von Saint- Exupéry: Quand j’ai dessiné les boabas, j’ai été animé par le sentiment de l’urgence und Paul Eluard, Capital de la douleur. …ces tristes soirs à tout moment wurden sehr charmant und witzig vom Komponisten (Flöte) und dem Kontrabassspieler Lukasz Klusek vorgetragen. Beide machten aus der Komposition ein kleines Musik-Sprache Kunstwerk, in der Flöte und Worte einen gleichwertigen Part spielten.

Überhaupt die Flöte. Wenn über die Flöte gestrichen wurde so wie vielleicht der Wind über eine verdorrte Erde streicht, dann wünscht man sich ein Flötenkonzert in diesen Räumen, die auch aus den Gegensätzen zwischen hoch und einladend leben, zwischen feierlich und heimelig. Das Instrument Flöte passt dazu.

In der Mitte der Halle steht der Flügel, der dann auch eine beherrschende Rolle in diesem Konzert spielte. Das war ein Programm voller Gegensätze: Wer kennt schon die Stücke von Webern für Cello und Klavier, Grenzstücke. Man muss keine besonders ausgeprägte Imagination haben, um sich vorzustellen, wie diese 1914 komponierten Stücke auf die Zeitzeugen gewirkt haben. Aber gerade dieser Zeitbezug wie auch bei den Stücken von Béla Bartók und Irina Emeliantseva zeigte die für eine Bibliothek so passende Spannung zwischen früher und jetzt. Bibliothek ist immer auch ein Ort des Kulturerbes, auch eine Öffentliche Bibliothek. Dieses trifft umso mehr auf eine Bibliothek zu, die in diesem Maße von der Kommune angenommen und geliebt wird. Da schadete es dann nicht, wenn am Ende des Konzertes-- wir hatten es ja hier mit moderner Musik zu tun-- und die zwinkert manchmal mit den Augen, die Papierfetzen flogen und ein Eimer mit Schrott für einen zusätzlichen Klangeffekt sorgte.

Moderne Musik oder wie es manchmal heißt Neue Musik hat kein großes Publikum, wohl aber eines, dass sich zunehmend abschottet und den eigenen Gesetzen folgt, wie es auch in der Diskussion an anderer Stelle zwischen den russischen Komponisten Irina Emeliantseva und Maxim Seloujanov, dessen demisaisonale Kollektion auch hier gespielt wurde, deutlich wurde. Dabei steht die Neue Musik für Musik jenseits der Berieselung. Sie will die kreativen Kräfte ansprechen. Sie ist aber auch Teil der Tradition, denn weder Bartók noch Schubert sind in ihrem Leben ihres Ruhmes teilhaftig geworden. Aber sie haben Zeichen gesetzt. Musik ist eine der schönsten Seiten der Humanitas, das war sie auch hier in der Humboldt Bibliothek an diesem regnerischen Abend im Oktober.

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