Tagebücher – Jeder kriegt sein Fett weg. Hans Werner Richter schimpft in seinen Tagebüchern 1966–1972 auf die Schriftsteller der Gruppe 47. Spiritus Rector der bekanntesten literarischen Vereinigung nach dem Zweiten Weltkrieg. Er hat sein Tagebuch zu seinen Lebzeiten nie veröffentlicht, vielleicht weil er wusste, dass die ihm nachgesagte Begabung zur Freundschaf eine Schimäre war. Die Tagebücher sind von ätzender Schärfe über seine Dichterkollegen.

Tagebücher können Machtkämpfe protokollieren; sie zeichnen die geheimen Gedanken und Wünsche der Schreiber auf. Sie sind als historische Quelle zwiespältig, als menschliches Dokument aufschlussreich.

Mein Tagebuch hat Johannes Spiecker seine täglichen Aufzeichnungen ge-nannt. In zwei Jahren wurden es über 2000 Seiten. Sie dienten als Rechenschaft seiner Inspektionsreise. Aus ihnen wurde ein berührendes Zeugnis eines Menschen, der unter Aufbietung seiner Kräfte, seines Wissens und seiner Weisheit nicht nur seiner Aufgabe, sondern den Menschen dient. Die mitunter seufzenden Bemerkungen etwa über die Sturheit der Brüder oder deren mangelndes politisches Geschick, lassen ahnen, welchen Aufgaben Johannes Spiecker jeden Tag gegenüberstand. Selbstverständlich wollte er das Schicksal der gefangenen Hereros erleichtern und bemerkt hier – ungewöhnlich scharf für diesen klugen eigentlich stillen Mann –, dass sich die falsche Einschätzung und mangelnder Empathie und Zuneigung zu den Eingeborenen bitter rächen würde. Das ist eingetroffen, wie der Erste Weltkrieg zeigt. Er versucht immer wieder zwischen den Hereros, der Mission und der Deutschen Obrigkeit zu vermitteln, freut sich über jeden Erfolg und weiß doch, dass dieser Prozess von ihm weniger gesteuert werden kann, als er sich das wünscht. Das raubt ihm den Schlaf. Dies zeigt, wie sehr ihn seine Sorgen umtreiben, denen er sonst wenig Raum lässt. Sein unerschütterlicher Glaube und sein Gottvertrauen geben ihm jene Sicherheit, die er für seine große Aufgabe braucht. Nur so ist es möglich, dass diese Arbeit, die täglich seinen Einsatz erfordert, wenig Bequemlichkeit bietet und keine Ausspannen erlaubt, von ihm bewältigt wird. Gewerkschaftlich vereinbarten Arbeitsstunden wären Spiecker fremder gewesen als das Afrika, das er besuchte. Eine solche Argumentation hätten ihn fassungslos gemacht.

Johannes Spiecker lebte ein Leben für den Bruder, mag es der Missionar oder Herero sein, ein Leben ohne Streben nach Macht, sondern ausgerichtet am Mitmenschen. Wie wunderbar, die Tage dieses Menschen Anfang dieses Jahrhunderts in einem schwierigen Afrika mitzuerleben und mitzulesen. Das Buch ist ein Licht in unserer manchmal als sehr schwer empfundenen Zeit. Lassen Sie sich berühren.

Johannes Spiecker: Mein Tagebuch. Erfahrungen eines deutschen Missio-nars in Deutsch- Südwestafrika 1905-1907. Softcover, 529 S. Euro 28.50 ISBN 978-3-940862-41-9