H-Soz-u-Kult und Clio-online veranstalteten gemeinsam mit dem L.I.S.A Wissenschaftsportal der Gerda Henkel Stiftung vom 14. bis 15. September an der Humboldt Universität, Berlin die Tagung .hist2011 – Geschichte im digitalen Wandel.

Schon früh haben Bibliothekare und Informationswissenschaftler (Walter Umstätter Zwischen Informationsflut und Wissenswachstum. Bibliotheken als Bildungs- und Machtfaktor der modernen Gesellschaft) auf die sich schnell ändernde Informationsstruktur wissenschaftlichen Forschens hingewiesen. Mit Web.2.0 oder Library 2.0 ändert sich nicht nur die Infrastruktur sondern die Wissenskommunikation dramatisch und damit der Wissenschaftler selber und das Konzept seines Forschungsgebietes (Ben Kaden, Library 2.0 und Wissenschaftskommunikation) Eine virtuelle Forschungsumgebung ist nicht nur eine technische Neuerung sondern auch ein soziales Phänomen. Die sozialen Netze sprechen Öffentlichkeit in einer Weise an, die vorher nicht erfahrbar war. Der Nutzer, auch der nicht wissenschaftliche oder der Laie wird integriert, wie es in den vergangenen Jahren nicht denkbar war. Dafür ist Wikipedia und seine große community das beste Beispiel. Wikipedia hat sich von einem wissenschaftlich oft verächtlich charakterisierten Schmuddelkind zu einer Enzyklopädie gewandelt, die täglich von allen und jedem genutzt wird. Mittlerweile gibt es auch eine Redaktion, die versucht, die schlimmsten Fehler zu unterbinden, die noch 2008 vor den Gefahren einer kritiklosen Nutzung dieses Werkes warnten (Rainer Strzolka, Das Internet als Weltbibliothek. Suchmaschinen und ihre Bedeutung für den Wissenserwerb).

Kritisch und mit großer Offenheit wurden in den Werkstattberichten während dieser Tagung Projekte der virtuellen Forschungsumgebungen vorgestellt und bewertet. Eine Annäherung bei der Weiterentwicklung geschichtswissenschaftlicher Fachbibliographien und ihrer Digitalisierung an die bibliothekarischen Verbünde macht den organisatorischen Wille zur Zusammenarbeit und zur »Wandlung« deutlich. Dabei wurden aber die großen Probleme auch angesprochen, die in der Rechtsverwaltung der VRE liegen, die von dem Forscher selbst wahrgenommen werden müssen. Dies bringt schon heute große Schwierigkeiten mit sich, weil die Rechtslage mitunter unsicher oder auch unklar ist. Die Überlassung von Bildmaterial aus Archiven und Bibliotheken für Veröffentlichungen und Ausstellungen und die völlig willkürliche Preisgestaltung stellt heute schon Wissenschaftler bei ihren verschiedenen Aufgaben vor große Schwierigkeiten. Da bis jetzt keine allgemein gültige Lösung dieser Probleme sich abzeichnet, bleibt zu befürchten, dass diese Rechtsunsicherheit neue Zugangs- und Nutzungsbeschränkungen entstehen lässt. Leider fehlt ja in Europa ein übergreifendes Urheberrecht, noch verfügt Deutschland über eine grundsätzliche wissenschaftliche und pädagogische Klammer des Urheberechts, wie sie das US amerikanische fair use und faire dealing bietet.

Ein Desiderat dieser Tagung und auch eine Forderung an die großen Bibliographien deutscher Geschichtsforschung war die Einbeziehung der europäischen Geschichte in einem viel größeren Maße als das heute der Fall ist. Wieweit werden Forschungen ausländische Veröffentlichungen über das eigene Land wahrgenommen, wieweit werden deutsche Wissenschaftler mit europäischen oder internationalen Themen sichtbar? Wo ist der deutsche Forscher englischer Geschichte gelistet? Dieses ist besonders eine Forderung an die vergleichende Geschichtswissenschaft, die auch in der gegenwärtigen politischen Debatte um Europa eine viel größere Rolle spielen sollte als das gegenwärtig der Fall und wohl auch möglich ist.

Der Bericht von Torsten Reimer, Der Hausmeister und der Präsident. Virtuelle Forschung als Chance für die Geisteswissenschaften, sprach auch die Gefahren an, die durch eine mangelnde Förderung die wissenschaftliche, auf eine längeren Zeitraum angelegte, Forschung schaden kann. Es wurde dabei kurz angedeutet, wie sehr z.B. JISC London auf Texte angewiesen ist, Texte, die immer noch aus der Arbeit in Archiven und Bibliotheken erwachsen. Web 2.0 und eine virtuelle Forschungsumgebung bieten wunderbare »tools« für die Forschung an. Aber längst ist alles Archivmaterial weder erschlossen, noch digitalisiert. Es wartet nicht nur darauf erfasst , sondern auch konzeptionell und wissenschaftlich erarbeitet zu werden. Dies kann besonders wichtig werden, in einer Zeit, in der sich Themen und Konzepte ändern, nicht zuletzt durch die sich wandelnde virtuelle Infrastruktur. Der digitale Wandel wird alles erfassen und ändern, Geschichte soll auch dies festhalten und beobachten. Der digitale Wandel bietet dem Historiker Werkzeuge an, die man vorher nicht kannte. Es sind aber nicht nur die Werkzeuge allein, sondern – wie in allen technologischen Revolutionen vor unserer Zeit – der Wissenschaftler wandelt sich mit diesen Werkzeugen.

Elisabeth Simon
September 2011