Die Zukunft hat schon begonnen, schrieb Robert Jungk in seinem vor 60 Jahren erschienen, viel beachteten Bestseller, als nukleare Katastrophen gerade den Zweiten Weltkrieg beendet hatten und seitdem die Welt bedrohen, wenn auch in anderen Formen als R. Jungk es zu dieser Zeit prognostiziert hatte.

Wagemutig hatten sich die Bibliotheken und besonders ihre Bibliothekare das Motto Bibliotheken für die Zukunft und Zukunft für die Bibliotheken für ihren 100. Deutschen Bibliothekartag gewählt. Die Vergangenheit einer 100 jährigen Berufsgeschichte sollte einer Entwicklung entgegen gestellt werden, die vergleichbar der von Robert Jungk definierten Zukunft Gewissheiten zerstören und neue Strukturen aufbauen wird, deren Umrisse zwar sichtbar sind, aber deren endgültige Formulierung noch aussteht.

Immer noch haben Bibliotheken mit einem mangelhaften Image von Seiten ihrer Verwaltung und Entscheidungsträger zu kämpfen. Dies machte der Themenblock Exzellente Universitäten – Exzellente Bibliotheken deutlich Zwischen neuen Formen der Bestandsentwicklung mit Erwerbung und Verbreitung von Lizenzen, einer schlechten Positionierung als Bibliothek der Nachteile standen die Bewerbungen der Universitäten im Rahmen der Exzellenzinitiative ohne Berücksichtigung der Bibliotheken. Ein Unding und in den angelsächsischen Ländern von Großbritannien bis zu den Vereinigten Staaten undenkbar, bei denen z.B. die Akkreditierung der Universitäten in großem Maße vom Zustand der Bibliotheken abhängt. Um einen großen Bogen zu schlagen, diese Länder würden auch nicht den Irrsinn eines Bildungsgutscheines mit seinen unendlichen bürokratischen Hürden in die Welt setzen, sondern hätten mit den gleichen Mitteln ihre Schulbibliotheken auf- oder ausgebaut, in denen gut ausgebildete kenntnisreiche und freundliche Bibliothekare Schülern nicht nur fachlich helfen, sondern ihnen die ersten Schritte der Informationskompetenz beibringen. Das nennt man Zukunftsinvestition. Der traurige Grund liegt in der mangelnden Popularität solcher zukunftsweisender Maßnahmen, Doch diese könnte vermittelt werden zu einer Zeit, in der die Angst um die Zukunft ihrer Kinder Eltern physisch und psychisch belastet.

»Alte kommen nicht in meine Bibliothek, also biete ich ihnen auch nichts an.« So verständlich diese Ausspruch (den die Administration der betreffenden Bibliothek nicht hören soll), er greift doch ein wenig kurz. Alte sind der berühmte Bürger Jedermann, Rentner/Pensionäre, Gartenliebhaber (aber wirklich nicht alle) Reisende, Ehrenamtler, Großeltern, Politiker! und in steigendem Maße Berufstätige. Die Multifunktionalität oder Individualisierung der Gesellschaft, die jede Zielgruppenbestimmung so schwer, wenn nicht unmöglich macht, erfordert manchmal ein waghalsiges Angebot oder intensives Nachdenken, warum die »Alten« nicht in die Bibliothek kommen. Mag es an einer elektronischen Schwellenangst liegen? Undenkbar für die informationskompetenten Bibliothekare, wie es der Blick in die Lobby des Estrelle Hotels, des Kongresszentrums mit seinen unendlichen Laptopinhabern deutlich macht, aber doch möglich. Vielleicht sollte Emotion selling versucht werden, wie es Frau Professor Ursula Georgy launig im Block Bibliotheksmanagement vortrug.

Wie »verkaufe« ich meine Bibliothek – Professionelles Marketing als Instrument politischer Lobbyarbeit musste dann auch wegen zu großer Zuhörerschaft in einen zusätzlichen Raum ausweichen. Die Bibliothekare wissen es nur zu gut, woran es immer wieder mangelt. Dieser Mangel zieht sich wie ein roter Faden durch ihre ganze berufliche Arbeit und das nicht nur heute und nicht nur in Deutschland. Lobbyarbeit ist gleichzeitig PR, wie es Dirk Wissen in seinem BeitragPresse- Fernseh- und Internetauftritt zeigte. Sie erfordert Einsatz – weit über vereinbarte Bürostunden hinaus – und Geduld. Seine Antwort gegenüber der Verwaltung, die ihm vorwarf , dass er als Berlin Bürger das Kulturleben in Frankfurt/Oder nicht kennenlernen würde, hat er selbstbewusst geantwortet, im Gegenteil, er würde das Kulturleben in Frankfurt prägen. Eine für Bibliothekare herrliche, von seinem Wert überzeugte Antwort. Sie allein kann gegen eine Zerstörung der Bibliotheken wirken, damit nicht das Realität wird, was Rainer Strzolka im Handbuch der Kulturzerstörung (Berlin 2110) ironisch und scharfsinnig analysiert hat.

Es blieb dem Block Bibliotheken – Kultur – EU: eine vielversprechende Allianz in den ausgezeichneten, professionellen Vorträgen und Best-Practice-Beispielen vorbehalten, ein neues Bild der Bibliotheken zu vermitteln. Die EU und die Kultur (Hella Klauser): Bibliotheken fördern Kreativität und den Zugang zu Informationen zur Kreativität und Bibliotheken sind Partner für Kreativität im Bildungs- und Erziehungsbereich, sie fördern Entwicklung auf regionaler Ebene und gleichzeitig den interkulturellen Dialog. Libraries – cultural peaks for information and inspiration, das Bibliotheksbild, das hier aufgezeigt wurde, sollte deutsche Bibliotheken zum Mitspielen auf der EU-Ebene ermuntern (ihr Anteil an Bibliotheksprojekten war in den vergangenen Jahren verglichen mit anderen Ländern sehr niedrig). Aber das hier aufgezeigte Bild der Bibliotheken, jenseits aller politischer Parameter ist nicht nur eine Bedingung für die Teilnahme an EU Programmen,es ist das einzig mögliche für die Zukunft der Bibliotheken. Es ist bedrückend, dass die bürokratische EU, der die deutschen Bibliothekare mehr mit Angst als mit Liebe begegnen, hier ein Image entwickelt hat, das in die Zukunft weist. Bibliotheken haben eine Zukunft nicht als verachtete Anhängsel provinzieller Universitäten oder als Manövriermasse sparwütiger Kommunen, sondern als kultureller kreative Kräfte einbindender Mittelpunkt einer Kommune, einer Region. Wie weit wir davon entfernt sind, kann der Simon Verlag für Bibliothekswissen permanent erfahren, wenn die Herausgabe seiner Reihen: Hören und Lernen, die der modernen Musik eine Stimme geben will undZeitzeugen des 20. Jahrhunderts, die das Erleben unserer Mitbürger zugänglich macht, auf Ungläubigkeit und Staunen trifft.

Vergleichbar den library conferences der ALA, USA hatte sich dieser Bibliothekartag zu einer Messe ausgewachsen. Man konnte sich gut in Vorträgen und an den Ständen über die verschiedensten Leistungsangebote der Anbieter für Bibliotheksdienstleistungen informieren. Auch die Verbände waren aktiv und es ist nur zu begrüßen, dass sie eine Initiative zur Reform der tariflichen Einordnung starteten (Bachelor/FAMI). Aber solche wirklich notwendigen Aktivitäten könnten einer Jobbörse gegenüber gestellt werden. Das ist zu Zeiten mangelnder Beschäftigungsangebote für den hervorragend ausgebildeten und hoch motivierten Nachwuchs nicht einfach und sollte trotzdem gewagt werden – auch unter Einbeziehung des privaten Sektors, der auf diesem Bibliothekartag so aktiv war und dem ja auch an einer Zukunft der Bibliotheken gelegen ist. Diese Zukunft gehört nicht den Gebäuden, gegen den Glauben vieler Entscheidungsträger, sondern sie gehört den Bibliothekaren, Kommunikationsfachleute und Navigatoren durch das Netz – keine einfache Aufgabe, aber eine Herausforderung.

Elisabeth Simon
Juni 2011