– 2. Berlin-Brandenburgischer Schulbibliothekstag 

am 28. November 2009 in der Fachhochschule Potsdam

Schulbibliotheken – keine Entwicklung in Deutschland?

Frühkindliche Erziehung – Lesen lernen – Sprachentwicklung – Bildung, Bildung, Bildung am besten vom zweiten Lebensjahr an! Dies beherrscht gegenwärtig die soziale und politische Diskussion, Forderungen der Lehrer, Erzieher und Eltern! Die wirtschaftliche Zukunft Deutschlands wird beschworen, der Kampf um die besten Köpfe, Intelligenz und Fachkompetenz als Ressourcen für ein Rohstoff armes Land.

In dem Mahlstrom pädagogischer Reformen, die Eltern, Lehrer und Erzieher anscheinend lebenslang begleiten, werden immer wieder Beispiele aus den angelsächsischen Ländern zitiert. Die Frage drängt sich auf, warum die öffentliche Schulbildung in den USA mit ihren offensichtlichen Defiziten im Vergleich zu Schulbildung in Deutschland mit seinem jahrelang praktizierten rigiden Ausleseverfahren, im Berufsleben und demzufolge wirtschaftlich so erfolgreicher war als die der westeuropäischen Staaten, wie z.B. Deutschland und auch Frankreich.

Die ersten grundlegenden Reformen in den weiter führenden Schulen vor ca. 30 Jahren führten das Kurssystem in die deutschen Schulen ein, angelehnt an angelsächsischen Beispielen, mit dem großen Unterschied, dass die daraus sich entwickelten Curricula mit ihren Freistunden zu Gewinnen der Bäcker, Würstchen und Süßigkeitsständen führten. Die Tage der Kinder dagegen waren jetzt lang und oft sehr unfruchtbar.

Reformen von Schule und Curricula

Schon damals vor über 30 Jahren fehlten die Grundbedingungen für ein derartiges Schulsystem: eine Kantine mit der Möglichkeit der "warmen" Verpflegung und Schulbibliotheken. Trotz der großen und verdienstvollen Arbeit, die die Arbeitsstelle für Schulbibliotheken am ehemaligen Deutschen Bibliotheksinstitut, Berlin in Zusammenarbeit mit den schulbibliothekarischen Beratungsstellen der Länder jahrelang geleistet hat, das Bild änderte sich nicht grundsätzlich. Auch gegenwärtig nicht, wie es dieser Berlin Brandenburgische Schulbibliothekstag deutlich machte. Das ist erschütternd! Noch jammervoller scheint die Situation, wenn darauf hingewiesen wird, daß es wohl Schulbibliotheken gibt, aber dass sie oft weder auf der Webseite der Schule zu finden, geschweige mit einer eigenen vertreten sind. Was bedeutet das? Es heißt im Klartext, dass für Kinder, wenn sie, wie geplant, nach einem langen Schulalltag nach Hause zurück kehren, die Pflege von Musik und Sport schwierig ist, wenn diese nicht in der Schule angeboten wird, wie man es eigentlich von einer Ganztagsschule erwarten kann. Man müsste auch erwarten, dass Räume und Gelegenheiten vorhanden sind, um Hausarbeiten zu erledigen. Einer der Gründe für die Einrichtung der Ganztagsschulen ist auch die Auslagerung der Hausarbeiten aus der häuslichen Umgebung, in die beide berufstätigen Eltern vielleicht erst abendsnach Hause kehren.

Oberflächlich betrachtet werden der Schulalltag und das Leben von Kindern und Familien sozial, kulturell und letztendlich wirtschaftlich sich tiefgreifend ändern. Wir können auf alle Facetten dieser Änderung hier nicht eingehen, und wollen nur die Punkte herausnehmen, die Bibliothekare und besonders Schulbibliothekare besonderes berühren.

Anforderungen an Schulbibliotheken

Diese sind 1. Die Förderung des Lesens und 2. der Erwerb der Informationskompetenz.

Eva Homeyer hat in ihrem Buch: Informationskompetenz an Grundschulen. Probleme und Perspektiven für Schulen und Lehrer (Berlin 2008) aufgezeigt, wie unterschiedlich die Gesetzeslage auf Landesebene ist, die diese Informationskompetenz und deren Vermittlung in den Grundschulen fördern soll. Diese ist nämlich eng mit der Fortbildung der Lehrer verknüpft, und diese wiederum mit der Ausbildung, in der oft nur mangelhaft der Erwerb der Informationskompetenz gelehrt und auch gefordert wurde. Wie ein Parasit schiebt sich dieser Mangel durch Aus- und Fortbildung und wird alle Hoffnungen, dass mit der heutigen Reform der Curricula informationskompetente Jugendliche die Schule verlassen, zunichte machen. Wie wir anfangs angedeutet gesagt haben, kann auch hier wieder, das Ziel dieser Reform, wie auch die der früheren, verfehlt werden.

Es wird im zukünftigen Berufsleben darauf ankommen, und dies trifft auf die Vielzahl der Berufe, trotz unterschiedlicher Fachrichtung zu, dass man sich schnell und umfassend informieren muss. Dazu muss man seine eigenen Fragen formulieren können, Suchstrategien entwickeln, Phantasie einsetzen, um neue Pfade zu suchen und Inhalte erfassen können. Hierzu können eigentlich nur erste Ansätze und Strategien gelehrt werden, ansonsten muß das geübt und ausprobiert werden – am besten im Team, mit Freunden und Klassenkameraden oder auch Kurskameraden vor dem PC mit einem liebevoll im Hintergrund sich aufhaltenden Experten, eben einem Bibliothekar(in).

Schulbibliotheken gehören zur Grundausstattung amerikanischer Schulen, selbst im ärmsten Viertel von Chicago mit seinen sozialen Brennpunkten sind Schulbibliotheken der Mittelpunkt der Schulen. Hier lernen die Kinder abseits des geregelten Unterrichts selbstbestimmt wie sie sich ihre Informationen und wo sie sich ihre Informationen holen können. Diese Übungen werden den Grundstein für ein lebenslanges Lernen legen – und dies mag einer der Gründe für den wirtschaftlichen Erfolg der Vereinigten Staaten sein, schon in der vergangenen Zeit. Der erfolgreiche berufliche Weg, wie er auch immer wieder in der amerikanischen Literatur beschrieben wird und den der Industrielle und Bibliotheksförderer Andrew Carnegie schon im letzten Jahrhundert vorgelebt hat, ist mit Bibliotheken und Informationsbeschaffung verknüpft.

Ganztagsschulen und Schulbibliotheken

Im IZBB Programm des Bundesministeriums für Bildung werden auf Bundesebene Mittel für die Einrichtung der Ganztagsschulen zur Verfügung gestellt. Es sind auch, wie die Tagung in Potsdam zeigte, einige Schulbibliotheken mit Hilfe dieses Programms in Ganztagsschulen eingerichtet worden. Aber warum eigentlich nicht in allen? Gab es Programme und Initiativen auf Seiten der Verbände dazu? Als im Jahre 1964 sich für den britischen Bibliotheksverband, damals noch LA die Gelegenheit ergab, ein Bibliotheksgesetz erfolgreich dem Parlament vorzulegen, geschah das sofort, denn einen Entwurf hatte der Verband schon jahrelang in der Schublade. Das IZBB Programm hätte einer solchen Planung bedurft. Wenn es nämlich nicht gelingt, hier eine Einrichtung zu schaffen, in der die Kunst der Informationsbeschaffung und Aufbereitung eingeübt wird, in der Kinder und Jugendliche die Hausarbeiten und gerade Projektarbeit zusammen gestalten und zu diskutieren, wird auch diese Schulreform der Ganztagsschulen mitnichten den erwünschten Erfolg bringen, sondern im schlimmsten Fall Kinder und Eltern unglücklich machen, weil der Tag ohne eigene Initiative der Kinder für ihre eigene Informationsbeschaffung ihrer eigenen Interessen eigentlich ein verlorener Tag ist. Walther Umstätter, bis 2007 Direktor des Institutes für Bibliotheks- und Informationswissenschaft an der Humboldt Universität zu Berlin, hat dazu für Kinder ein hinreißendes Buch geschrieben: Die Jagd nach dem Buchstädter Bibliotheksmarder. Von Buchschmaus von Nimmersatt. Es führt in die Informationssuche an Hand einer spannenden Kriminalgeschichte ein.

Die Ausstellungen während dieser Tagung in Potsdam zeigten deutlich, welche zahlreichen und phantasievollen Wege heute die Leseförderung geht, z.B. die Lenaugrundschule in Berlin Kreuzberg, die ekz, und auch der Anagramm Buchladen für Kinder (www.anagramm-buch.de). Natürlich geht die Vermittlung von Informationskompetenz nur über das Lesen, sehr oft scheitert diese ja an funktionalem Analphabetismus. Aber es fragt sich, ob man nicht z.B. der Leseunlust von Jungen besser mit dem Einsatz der Informationstechnologie und dem Suchen und Finden am PC begegnen könnte. Hinreißend beschreibt W. Umstätter  wie ein hoffnungslos schlechter Schüler aufwacht, nachdem er erfahren hat, wo er seinen Lesestoff und die Informationen für sein Interessengebiet findet.

Programm der Tagung – Vorschläge und Diskussionen

Grundlagen der schulbibliothekarischen Arbeit (Sabine Wolf) und Vorschläge für die Einrichtung der Schulbibliothek (Angelika Holderried) waren sich zwar ähnlich, aber sie ergänzten sich auf eine sehr gute und praktische Weise. Beide Referenten gaben Tipps, warteten mit Maßzahlen auf und ließen Raum für Beiträge und Fragen. Dabei wurde deutlich, wie notwendig diese Art Fortbildung war, denn die dort versammelten Schulbibliothekare waren oft nicht fachlich ausgebildet, desto absurder stimmte der Beitrag einer Teilnehmerin, die über beide Ausbildungen, sowohl als Bibliothekarin als auch als Lehrerin verfügte (wie auch die oben genannte Autorin Eva Homeyer) und keine Aussicht auf eine Anstellung hatte.

FAMI`s, MAE-Kräfte, Mütter und Hausfrauen, Ehrenamtliche nahmen auf eine bewundernswerte Art und Weise Aufgaben wahr, die eigentlich von Fachkräften durchgeführt werden sollten. Wenn bedauernd gesagt wurde, daß leider eine Anstellung eines Teaching Librarian aus Kostengründen nicht möglich sei, so mag man dem entgegen halten, daß dieser Fachbegriff sich in erster Linie auf Universitätsbibliotheken und Fachhochschulen bezieht, bei denen Informationskompetenz sich auf gründliche Recherche und wissenschaftliches Arbeiten bezieht. Eine Fachkraft in einer Schulbibliothek hat natürlich Einsatzmöglichkeit mehr in die Breite als in die Tiefe, aber eine Diplombibliothekarin, oder auch eine Bibliothekarin mit einem Bachelorabschluss ist diesen Anforderungen gewachsen. Bei dem gegenwärtigen Niveau der Ausbildung kann eine solche Fachkraft nicht nur eine Schulbibliothek gut leiten und in dem hier aufgezeigten Sinne wirken, sie kann auch Kompetenz an anderen an der Schulbibliothek tätigen Kräften vermitteln.

Immer wieder wurde vor Verzettelung der Schulbibliothek gewarnt. Die Ziele sollte entsprechend der Schule und der zur Verfügung stehenden Mittel gesteckt werden, als Informationszentrum, als Kuschelecke, als Platz zum Abhängen oder als Ort des Lesens.

Diese Warnung hat ihre Berechtigung. Vor nichts Anderem wird auch im Bibliotheksmarketing mehr gewarnt als vor Versprechen, die man nicht halten kann und vor einem Marketing, das sich nicht an der gegenwärtigen Situation orientiert. Im Zusammenhang mit dem auch auf diese Tagung viel beschworenen Networking (Netzwerke) fragt man sich dennoch, sollten diese Ziele nicht im Zusammenhang mit einer Kooperation und einem Netzwerk bestimmt werden. Es ist also eigentlich nicht nötig, diese Einschränkungen zu machen, wenn der open access überregional bestimmt wird und die Schulbibliothek die Funktion eines open shops hat. Damit würde der Zugang zu allen Informationen für den Schüler erfahrbar und ihm damit eine Lektion erteilt, die für sein ganzes Leben einen unschätzbaren Wert hat.

School Library Association: SLA Guidelines – Die Vereinigung der Schulbibliothekare- Richtlinien aus Schottland

Der oben genannte Verband mit Sitz in Schottland hat diese Richtlinien herausgegeben der einen grundlegenden Unterschied herausstellt. Während die Praxisberichte während der Workshops auf dieser Tagung den täglichen Kampf mit administrativen Schwierigkeiten deutlich machten: Es war die Verwaltung der Schulbibliotheken, die alle Kräfte in Anspruch nahm, haben die vorliegenden Guidelines ganz deutlich die Erfolgskomponenten im Auge. Measuring Success. How effective is your School Library Resource Center. Auch das Heft Shelf Life, Shelf matters. Managing Resources in the School Library beginnt in seinem ersten Kapitel mit: Library Policy and Development Plan und sagt dazu: Every School Library should have a policy statement, strongly rooted in the school mission statement and making clear the role of the library in fulfilling this mission…und fährt dann fort: in a primary school by the staff exploring together what they need from the library …

Sehr deutlich werden hier die Ziele und eine wegweisende Politik angesprochen und Richtlinien dazu formuliert, wie Zusammenarbeit mit der Schule, klare Definition der Ziele, die im Zusammenhang mit Ausstattung und Entwicklungsplan zu einer erfolgreichen Schulbibliothek führen. Eine erfolgreiche Schulbibliothek ist immer eine solche, die die Kompetenzen vermittelt, die die Schüler von heute für ihr Leben von morgen, und dies nicht nur im Beruf sondern auch als erfolgreiche Mitbürger und Teilhaber einer modernen Gesellschaft brauchen.

Wie man in den letzten Jahren die Kindergärten entdeckt hat, die helfen sollen, die sozialen Unterschiede im Bildungsgefälle, die in Deutschland besonders deutlich zu sehen sind, einzuebnen, so sind die großen Unterschiede in der Entwicklung der Schulbibliotheken in Deutschland im Vergleich zu anderen Länder ein Teil dieses Problems. Wenn wir oben auf die jahrlange Vernachlässigung der Schulbibliotheken hingewiesen haben, so war diese auch dadurch begründet, dass  man sie für unnötig hielt. Elternhaus und Schule vermittelten die Bildung, deren Definition sich aber heute grundlegend verändert hat. Lebenslanges Lernen und Informationskompetenz sind dafür die Schlagworte. Schulbibliotheken sind heute für die kommende Generation lebensnotwendig.

Elisabeth Simon, HonFCILIP
Dezember 2009