Für unsere neue Reihe Hören und Lernen veröffentlichen wir Beiträge, und Blogs. Informationen über die Stockhausenkurse in diesem Jahr.

Stockhausenkurse und -konzerte in Kürten im Juli 2009

Stockhausen est mort – vive Stockhausen!

So könnte man in Analogie eines Ausrufes von Pierre Boulez auf den Komponisten Arnold Schönberg das Motto der diesjährigen Stockhausen-kurse umschreiben.

Learning for new lives heißt das Motto für 2009, denn der Kalender, den der Meister noch vor seinem Ableben der Nachwelt übergeben hat, verzeichnet noch bis ins Jahr 2020 für jedes Kursjahr einen anderen Wahlspruch. Er soll die Kursteilnehmer auf die rechte Bahn bringen bzw. ihre Seele erbauen und die Harmonie der Welt in einem einzigen Spruch zusammenfassen, vergleichbar der von Stockhausen in seiner Oper Licht und in anderen Werken verwendeteSuperformel.

Nachdem auf dem Karl-Heinz Stockhausen-Platz der Gemeinde Kürten, dem zentralen Ort mit Kommunalverwaltung, Kirche und Rathaus, mit einem vierstimmigen Trompetensatz aus der Feder des Meisters, einer Ansprache des Bürgermeisters und der Vorsitzenden der Stockhausenstiftung, Frau Suzanne Stephens, die Kurse eröffnet wurden, begann der Abend mit dem ersten Konzert in der Sülztalhalle

Auf dem Programm standen zunächst drei elektronische Stockhausen-Werke aus den Jahren 1954 bis 1966 (Studie II, Gesang der Jünglinge, Telemusik). Nach der Pause erklangen dann das Werk Komet (gespielt vom Synthesizerspieler Antonio Pérez Abellan), das Streichtrio Hoffnung, ein überraschendes Spätwerk, weil teilweise erfrischend tonal (nicht im regressiven Sinne als Retro inszeniert, sondern in einigen ungewohnten Tonverbindungen, die sich sowohl von der üblichen Atonalität als auch von der Tonalität im alten spätromantischen Stil abgrenzten). Einige Sprachfetzen wurden von allen drei Musikern in den fließenden Musiktext hineingesprengt, (wie Danke Gott, Für das und Hoffnung), die wiederum auf die tiefe Religiosität des Komponisten verwiesen, jedoch meiner Meinung nach mit einer gewissen Redundanz, da diese ohnehin beim Hören seiner Musik und insbesondere dieses Trios klar und deutlich zu spüren ist.

Bedeutungsschwangeres war ohnehin in all den Konzerten mit Stockhausens Musik zu erleben, z.B. das Werk Visionaus dem Jahre 1980 für Tenor, Trompeter, Synthesizer und Tonband. Kathinka Pasveer (als Tänzerin) voran, sowie ihre drei Kollegen hintendrein schreiten zunächst in Formation und in messdienerähnlichen Gewändern auf die Bühne, bevor die Musik anhebt und der Tenor seinen Part beginnt. Die Tänzerin führt immer wieder mit den Armen und Händen, zunächst vorne auf dem Oberkörper anliegend, bestimmte Gesten aus, deren Sinn man wohl nur nach einem gründlichen Partiturstudium dieses Stücks verstehen kann. Insgesamt wirkt die Darbietung der Tänzerin etwas müde und kraftlos, ja steif wie auch die Interpretationen der übrigen Darsteller, obwohl sie ihren Part tadel- und fehlerlos ausführen.

Die Sänger drückten durch ihr Verhalten auf der Bühne der Nonstop-Konzertwoche in der Sülztalhalle ihren ganz eigenen Stempel auf, allen voran die Bassstimme des Nicholas Isherwood.

In seiner ersten Bühnenpräsenz am 11.Juli (Luzifers Traum oder Klavierstück XIII) zusammen mit dem Pianisten Frank Gutschmitt sitzt der Sänger zumeist scheintot und leblos in einem schwarzen überdimen-sionierten Bürosessel, während der Pianist souverän seinen Klavierpart herunterschnurrt. Nur hin- und wieder erhebt er sich aus dem Quasi-Koma und schmettert einige Einwürfe Richtung Pianisten. Der Text besteht aus Zahlenspielereien, dem Namen des Pianisten und einige andere quasi mystische Wortklaubereien. Insgesamt verbreitet die Darbietung eine makabre, ja kafkaeske Atmosphäre, man könnte fast meinen, es sei ein Stück aus dem richtigen Leben, denn nicht selten entspricht das BühnenSzenario dem unterkühlte Büroambiente einer Firma in einem hochmodern eingerichteten Hochhaus. Der Gesamteindruck ist das letzte kraftlose Aufbäumen des Menschen gegen seine finale Zweckrationalisierung und Inventarisierung.

Oper ist hier Zurschaustellung von Lebenswirklichkeiten, die dem Konzertbesucher so real erscheinen, wie er es selbst nicht für möglich gehalten hätte. Er muss erst zur Abendrobe und Konzertkarte greifen, um diese Realität hautnah an sich zu erfahren und wahrnehmend zu begreifen.

Die zweite Darbietung des Baßsängers aus den USA geriet dann zu einem Eklat: Der Sänger wandte sich nach der Darbietung des Stückes Havona aus dem Zyklus Cosmic Pulses, mit dem Stockhausen im Jahr seines Todes (2007) beschäftigt war, an das Publikum und bat, die Darbietung aufgrund technischer Probleme wiederholen zu dürfen. Diesen Wunsch, gewährt ihm das kunstbereite und verständnisvolle Publikum ohne den geringsten Widerspruch. Als dann die Interpretation zum zweiten Mal anhebt, bricht der Sänger nach einigen Momenten aus unerfindlichen Gründen die Darbietung ab und verabschiedet sich mit einer heftigen Geste von der Bühne.

Wichtige Eckpunkte der Konzertwoche bildeten die elektronischen Werke wie Hymnen und Telemusik. An einigen Stellen gingen die Klänge bis an die physische Schmerzgrenze, was nicht selten erst im zweiten Teil des Werkes nach der Pause korrigiert wurde. Einige Werke Stockhausens, die für Orchester oder größere Instrumental- und Chorbesetzungen konzipiert sind (Donnerstags Abschied, Elektronische Musik mit Tonszenen), wurden nicht zuletzt aus Kostengründen als oktophone Klangprojektion wiedergegeben, was unbefriedigend war und teilweise zu Hörermüdungen führte.

Eine kontroverse Umsetzung lieferte das französische Ensemble CLSI (Circle for the Liberation of Sound and Image), die das Stockhausenstück Prozession lediglich als formale Vorlage für eigene Klangforschungsbeiträge nutzte, die von vier im Quadrat außerhalb des Publikums postierten Macintosh-Labtopmusikern geliefert wurden: Da wurden Klavierklänge, die jedweder temperierten Stimmung graduell enthoben wurden, jede Art von leisen Geräuschen rhythmischer Periodizität, die teils angenehm, teils dem Ohr Schmerzen bereitend, durch den Raum gejagt. Nach einigen Minuten gespannten Zuhörens stellte sich rasch eine Ermüdung ein, als offensichtlich wurde, dass bestimmte Klangstrukturen wiederholt, wenn auch äußerlich modifiziert, auftraten und inhaltlich nichts Neues brachten.

Trotzdem: Es war der einzige Konzertbeitrag im Laufe der Stockhausentage, in dem das Bemühen erkennbar war, Stockhausens kompositorisches Erbe selbständig weiterzuspinnen und die Ebene der reinen Traditionspflege seines Werkes, in der die meisten der Konzertbeiträge verhaftet blieben, zu verlassen. Man hätte sich mehr solche Beiträge gewünscht, die sicherlich zu einer künstlerisch-inhaltlichen Belebung der abendlichen Konzerterlebnisse beigetragen hätten; denn man stellt sich schon die Frage, wie es künstlerisch nach dem Ableben des Komponisten in den nächsten Jahren mit den Stockhausen-Kursen weitergehen wird.

Neben den Konzerten wurden Instrumentalkurse, Seminare und Vorträge angeboten, die sich sehr detailliert mit bestimmten Stockhausenwerken auseinander setzten, u.a. ein sehr ausführlicher Vortrag von Dr. Jerome Kohl zum Stück Zeitmasz. Leider wurden alle Vorträge nur in englischer Sprache angeboten, ein Zeichen kultureller Ignoranz, dessen sich die Veranstalter als auch die Mehrheit der Kursteilnehmer wohl kaum mehr bewusst waren. Widerspruch kam von einigen französischen Teilnehmern, weil die Vortragenden oft nicht nur in englischer Sprache, sondern in einem stark regional gefärbtem Amerikanisch und obendrein noch sehr schnell referierten.

Art-Oliver Simon 
August 2009