Wir Autoren wissen ja, dass wir gut sind. Wir haben der Welt so viel zu sagen. Die Welt würde sogar an unseren Lippen hängen, wenn sie denn wüsste, dass es uns gäbe. Damit das geschieht, haben wir die Verleger.

Nun gibt es unter den Verlegern sonne und solche. Also habe ich mir eine Wunschliste zusammengestellt und mir vorgestellt, wie ein Verleger aussehen würde, wenn ich ihn mir backen könnte.

Ich wünsche mir also einen Verleger,

·         der nicht mit Eurozeichen in den Augen herumläuft und nicht nur in Geschäftsmodellen denkt und immer wenn man ihn anspricht betriebswirtschaftliche Kennzeichen herunterrattert, sondern sich für die Inhalte interessiert, die er veröffentlicht;

·         der sich nicht ausschließlich an internationalen Bestsellern orientiert und nur diese importiert, weil sie für ihn eine sichere Wette sind, sondern Eigengewächse fördert, die über uns und unser Land etwas zu sagen wissen;

·         der erreichbar ist und sich nicht von seinen Sekretärinnen und persönlichen Assistenten verleugnen lässt und seine Entscheidungen nicht in ewig währende Meetings verlagert, sondern seine Autoren hört, auf sie eingeht und ihnen wenn möglich sogar folgt;

·         der nicht einseitig seine vertrieblichen Maßnahmen exekutiert, sondern der mit seinen Autoren eine Partnerschaft eingeht, wenn es gilt, über Lesungen, Events und Öffentlichkeitsarbeit den direkten Kontakt zu den Lesern herzustellen und der den Autor in seine Community mit weiteren Autoren einführt;

·         der mit seinen Autoren neue Wege beschreitet und sich Herausforderungen stellt, der also beispielsweise sagt: „Was, den Klassiker Lankes gibt es bei uns nicht? Dann übersetzen wir ihn selbst ins Deutsche!“ und

·         der wie wir die Bücher liebt und darüber vielleicht auch jene, die mit dazu beitragen, dass unsere Worte gehört und unsere Gedanken geteilt werden, also die Buchhändler und Bibliothekare.

Sie sagen, einen solchen Verleger gibt es nicht? Dann gibt es vielleicht eine solche Verlegerin? Ich jedenfalls habe eine solche in Elisabeth Simon gefunden. Kaum zu glauben, dass sie mit ihrem runden Geburtstag schon, ich glaube, 70 geworden ist.

Eine Verlegerin, die sich der Bibliothekswissenschaft und der Bibliothekspraxis verschrieben hat und die obigen Wünsche erfüllt, kann nicht anders als weltoffen sein.  So dürfte es kein Zufall sein, dass Elisabeth Simon im Jahr 2008 zwei neue Buchreihen startete, die eine über zeitgenössische Musik, die andere mit „Zeitzeugen des 20. Jahrhunderts“. Ich verstehe wenig von zeitgenössischer Musik, vermute aber, dass beide Reihen eines ermöglichen, nämlich den Zeitgeist und teilweise auch den Ungeist einer Epoche erlebbar zu machen.

Darüber hinaus glaube ich, dass die Biographien, Beschreibungen, Briefe, Tagebücher und Romane der „Zeitzeugen des 20. Jahrhunderts“ geprägt sind von

·         der Ehrlichkeit und dem Respekt gegenüber den eigenen Erfahrungen, nicht in dem Sinne, diese fotografisch wiedergeben zu wollen, sondern immer mit der Frage verbunden, was diese Fakten bedeuten;

·         einem entschiedenen Standpunkt für die universellen Menschenrechte und eine Offene Gesellschaft und

·         einer Hellsichtigkeit für Defekte in unserer Gesellschaft, die als Frühwarnsystem für gefährliche Entwicklungen dienen könnten, wenn sie durch die Informationsfluten, die uns überschwemmten, durchdringen würden.

Hier möchte ich aus der Reihe „Zeitzeugen des 20. Jahrhunderts“ nur nennen

·         die Erinnerungen des Missionars Spieker, in denen er den deutschen Kolonialismus mit seiner extremen Ausbeutung der Schwarzafrikaner anprangerte – siehe auch die Vernichtung der Hereros;

·         die Geschichte der Zensur vom zaristischen Russland bis zur späteren Sowjetunion von der Amerikanerin Mariann Tax Choldin – noch in der Pipeline des Verlages;

·         das Kriegstagebuch des Frontsoldaten Winz, der nach dem 1. Weltkrieg die Schauplätze des Krieges aufsuchte und mit den Menschen dort sprach.

Ich selbst habe in meinem „Anti-Heimat-Roman“ aus den radikal subjektiven Perspektiven eines Kindes, eines Heranwachsenden und eines politischen Insiders dargestellt, wie das Ruhrgebiet und darüber hinaus Nordrhein-Westfalen seine Modernisierung im Filz organisierter Interessen verpasste, bis es fast hinter allen anderen Regionen in der Republik zurückfiel. Leser, die mir sagten: „So kann es nicht gewesen sein“, antworte ich: „Nein, in Wahrheit war es viel schlimmer.“

Bücher wie diese brauchen wir und wir brauchen sie in einer Zeit der Trumpismen, des Aufstiegs des autoritären Staates und der Rückkehr des Krieges nach Europa mehr denn je. Also Elisabeth, bitte, mach weiter!